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Christ und Staat

Wie fügt sich ein Christ in den Staat ein, in dem er lebt?
Welchen Einfluss soll ein Christ nehmen?
Welchen Auftrag hat ein Christ in dieser Welt?
Solche Fragen sollen in dieser Stellungnahme aus biblischer Sicht beantwortet werden.

Standortbestimmung

Wie man seine Beziehung zum Staat definiert wird stark davon beeinflusst, wie man sich selbst sieht. Ein Christ sollte sich als Bürger im Reich Gottes sehen und aus dieser Position heraus leben. Damit ergibt sich, dass man sich dem Staat unterordnet, wo Jesus dies fordert. Es schränkt diese Unterordnung aber auch ein, weil eine weltliche Regierung nicht beanspruchen kann, was Gott bereits zusteht.

Leben als Botschafter

Jesu Botschaft an alle Menschen ist sein Angebot der Versöhnung. Er ist der Weg zum Vater und die Sühnung für alle Schuld. Diese Botschaft sollen alle Menschen hören. Wo man zulässt, dass diese Botschaft nicht mehr klar und verständlich überbracht wird, dort ist man zu sehr in andere Angelegenheiten verstrickt.

Beziehung zum Staat

Aus menschlicher Anstrengung heraus wird man immer ein unbeständiges Staatswesen erhalten. Es gibt einige menschliche Möglichkeiten, Einflüsse von Störungen zu mindern, aber lösen kann man das Problem nicht. Als Reaktion darauf vertraut man als Christ dem, der außerhalb dieser Unbeständigkeit ist, nämlich Gott selbst, und ordnet sich der von ihm verordneten Regierung unter.

Einflussnahme und Grenzen der Unterordnung

Christen sind nicht untätig, aber ihre Einflussnahme findet nicht mit weltlichen Mitteln statt, sondern insbesonder durch ein aufrichtiges Vorbild und durch Gebet. Wenngleich sich daraus nicht direkt ein Konflikt zum Staat ergeben mag, gibt es doch verschiedene Situationen, in denen sich ein Christ im Konflikt zwischen dem Gehorsam gegenüber Gott oder gegenüber dem Staat für den Gottesgehorsam entscheiden muss.

Standortbestimmung

Zunächst sollte man sich klar machen, wie die Beziehung zum Staat vom eigenen Selbstverständnis beeinflusst ist. Angenommen man bittet einen Regierungsvertreter, einen Unternehmer und einen Autonomen, ihre Beziehung zum Staat zu beschreiben, dann wird man diese Unterschiede in ihrem Selbstbild auch in ihrer Beschreibung erkennen können. Wer seine Beziehung zum Staat hinterfragen oder klären möchte, der muss zunächst sein Selbstbild klären. Wer mit einem falschen Selbstbild startet, wird auch zu einem falschen Ergebnis in dieser Hinsicht kommen.

Ein Christ lebt natürlich in dieser Welt und insofern kann ein Christ beispielsweise auch ein Unternehmer sein. Wäre dies alles, so ergäbe sich aus dem Glauben aber kein Unterschied und man könnte die Frage nach der Beziehung eines Christ zum Staat nicht beantworten. Deswegen darf man bei dieser Frage nicht dabei stehen bleiben, welche Position jeder in seinem Leben in dieser Welt hat. Ein Christ ist vorrangig nicht Bürger seines Landes, sondern Bürger im Reich Gottes (Kol 1,13; Phil 3,20; Eph 2,19). Daraus ergibt sich seine Beziehung zum jeweiligen Staat, in dem er auf dieser Erde lebt.

Aus dieser Sicht auf sich selbst und sein Umfeld sollte ein Christ seine Haltung betrachten. Ein Christ als Bürger im Reich Gottes kann man damit nun zwei wichtige Aussagen schlussfolgern: Ein Christ hat eine von Gott gegebene Aufgabe in dieser Welt und er ist für sein Leben in dieser Welt vor Gott verantwortlich.

Zunächst sei die Aufgabe betrachtet. Man könnte salopp fragen, warum nicht jeder Christ entrückt wird, sobald er sich bekehrt hat. Eine sinnvolle Antwort darauf lässt sich nicht finden, ohne anzunehmen, dass ein Christ eine Aufgabe hat. Ein Christ lebt als Bürger im Reich Gottes dennoch in dieser Welt. Man darf also annehmen, dass Gott ihn hierher gestellt hat. Und es war von Beginn an so, dass Gott Menschen dorthin stellt, wo sie eine Aufgabe haben. Schon in Eden wurde der Mensch nicht sich selbst überlassen, sondern er sollte den Garten pflegen. Er hatte folglich eine Aufgabe. Spätestens hier sieht man, wie wichtig es ist, vom Bürgertum im Reich Gottes her zu denken. Andernfalls würde man seine Aufgabe im Rahmen dieser Welt definieren. Es wird später noch weiter erläutert, aber zusammengefasst kann man sagen, die Aufgabe für diese Welt besteht darin, Jesus zu verkünden (Mat 28,18-20).

Neben der Aufgabe kommt mit dem Bürgertum im Reich Gottes auch die Verantwortung. Wer versetzt ist in das Reich, dessen König Jesus ist, der muss sich auch dafür verantworten, ob er den Geboten Jesu folgt. Bezüglich der Beziehung zur staatlichen Authorität macht Jesus eine klare Aussage in Mat 22,21, wo er sagt, man solle dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Jesus als Herr seines Reiches gibt damit eine klare Anweisung, wie sich seine Bürger verhalten sollen.

Zunächst stellt er fest, dass es möglich ist, sich Gott und der staatlichen Gewalt unterzuordnen. Den Widerspruch, den die Pharisäer hier konstruieren wollten, gibt es nicht. Er diskutiert nicht darüber, ob der Kaiser rechtmäßig Kaiser ist. Er hält auch keine lange Rede über das Für und Wider einer Unterordnung. Er stellt lediglich fest, dass der Kaiser vorhanden ist. Es gab genug Gründe, den Kaiser abzulehnen, aber auf alle diese Argumente lässt Jesus sich nicht ein.

Jesus gibt auch zwei klare Handlungsaufforderungen: Gebt dem Kaiser und gebt Gott. Weder das eine noch das andere stellt Jesus zur Wahl. Als Christ ordnet man sich dem Staat nicht unter, weil man keine Alternative hat, sondern weil man als Bürger im Reich Gottes der Anweisung Jesu als Herr folgt.

  • Beispiel
    Im Straßenverkehr fahren viele etwas zu schnell, solang kein Blitzer in der Nähe ist. Andernfalls folgen fast alle exakt der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Ein solches Verhalten ist klar falsch. Ein Christ unterordnet sich der staatlichen Gewalt nicht aus Angst vor deren Strafe, sondern als Folge seiner Unterordnung unter Jesus und damit in diesem Beispiel unabhängig vom Vorhandensein eines Blitzers.

Schließlich stellt Jesus hier auch die Grenzen der Unterordnung unter den Staat fest. Was Gott bereits beansprucht, steht dem Staat nicht mehr zur Verfügung. Wenn weltliche Herrscher beispielsweise Anbetung fordern, so muss ein Christ sie ihnen verweigern, denn Anbetung beansprucht Gott bereits. So wie dem Kaiser die Steuer gegeben werden soll, muss Gott auch gegeben werden, was ihm zusteht.

Leben als Botschafter

Bei einem Botschafter mag man zuerst an eine Funktion im juristischen Sinn denken, also eine Person die eine Regierung in einem anderen Land vertritt. Das ist aber nicht ganz zutreffend, wenn man die Aufgabe eines Christ als Botschafter in dieser Welt verstehen möchte. Ein Christ ist ein Botschafter Christi (2. Korinther 5,20), aber nicht im juristischen Sinn. Ein Christ soll die Versöhnung mit Gott, die er selbst erfahren hat, weitertragen und andere Menschen auffordern, sich ebenfalls versöhnen zu lassen. Zur besseren Veranschaulichung kann man es teilweise vergleichen mit einem Anhänger eines Sportvereins, der andere von der Einzigartigkeit seines Vereins überzeugen möchte, oder dem Vertreter einer politischen Gruppierung, der Ähnliches für eben diese versucht. In diesem Sinn sind viele Menschen Botschafter ihrer eigenen Sache. Allerdings unterscheidet sich die Position eines Christen als Botschafter insofern von diesen Beispielen, dass ein Christ nicht seine eigenen Anliegen mitteilt. Ein Christ soll das Anliegen Gottes verkünden, nämlich das Menschen versöhnt werden sollen mit ihm.

Um zu verstehen, wie dies möglichst gut gelingen kann, können diese Beispiele dennoch helfen. Man nehme als Beispiel den Sport und stelle sich einen Anhänger eines Vereins vor, der an einem Tag mit mit Trikot und Schal von Verein A allen die Größe von Verein A weitergeben möchte, der aber am nächsten Tag Gleiches für Verein B unternimmt. Er wird vermutlich kaum jemand überzeugen. Um eine Botschaft überzeugend vermitteln zu können, muss sie verständlich und eindeutig überbracht werden.

Um zu verdeutlichen, wie man bereits an dieser Anforderung scheitern kann, soll ein Gedankenexperiment helfen. Man stelle sich vor, ein Gast kommt in eine christliche Veranstaltung und macht nichts anderes, als genau zu beobachten und zuzuhören. Wie könnte seine Beschreibung ausfallen?

  • Das ist eine Art Stammtisch mit christlichen Anstrich. Jeder meckert über alles, was ihm nicht gefällt. Das könnte die Beschreibung sein, wo man sich zu sehr um Politik kümmert und versucht, diese Welt zu verbessern. Dazu findet man im NT aber keine Aufforderung.
  • Das ist eine Selbsthilfegruppe. Jeder klagt sein Leid und niemand hat eine Lösung. Das könnte die Beschreibung sein, wo man sich nur noch um sich selbst dreht und das Leben im Übernatürlichen keinen Einfluss mehr hat. Hier ist das Leben als Bürger im Reich Gottes aus dem Blick geraten.
  • Diese Leute verkünden Jesus als König (Apg 17,7). Das ist die Beschreibung, mit der die ersten Gemeinden beschrieben wurden. So sollte es sein.

Dies mag eine Vereinfachung sein, aber das Problem sollte dennoch deutlich werden. Man kann nicht verschiedene Anliegen vermischen, wenn man eine Botschaft klar verständlich überbringen möchte.

Nun stelle man sich denselben Gast vor, der in einer Gemeinde war, die Jesus als König verkündigt. Zunächst sieht es so aus, als sei damit die Botschaft klar vermittelt, aber leider kann man auch an dieser Stelle noch scheitern. Der Gast könnte sich fragen: Dieser Jesus ist also König, aber was nützt er mir? Rettet er das Klima, bewahrt er die Demokratie oder macht er mich reich? Hier kommt man an den Punkt, der bereits zuvor als wichtiger Unterschied erklärt wurde. Ein Christ verkündet nicht sein eigenes Anliegen. Wo es dennoch geschieht, wird die Botschaft unklar. Als Christ soll man die Botschaft von Jesus als König, der jedem Menschen Versöhnung anbietet, übermitteln. Was davon ablenkt, ist eine ungesunde Verstrickung in andere Angelegenheiten. Das bedeutet nicht, dass ein Christ die Welt ignoriert, aber er gebraucht sie zur Erfüllung seines Auftrags als Botschafter. Paulus beruft sich beispielsweise auf den Kaiser, um nach Rom zu kommen. Paulus wusste um den Kaiser und um die Möglichkeiten, die ihm sein weltliches Bürgerrecht verschafft. Er hat also die Umstände nicht ignoriert, in denen er lebte. Er gebraucht diese aber zur Verbreitung des Evangeliums.

Beziehung zum Staat

Bevor die Beziehung eines Christ zum Staat, in dem er lebt, aus biblischer Sicht untersucht werden soll, lohnt es sich, den Hintergrund etwas genauer zu untersuchen. Salopp gesprochen könnte man fragen: Warum ist die Beziehung zwischen Staaten und ihren Bürgen oft angespannt? Würden alle Staaten die Freiheit der Bürger achten und würden alle Bürger die Gesetze des Staates befolgen, könnten viele Probleme gelöst werden. Hier ist nicht der Raum für eine umfassende Analyse, aber ein generelles Problem soll dargestellt werden, nämlich das Vertrauensdefizit.

Dieses Problem besteht in großen Organisationen häufig und betrifft damit auch Staaten. Vereinfacht gesagt kann der Staat nicht feststellen, ob er allen Bürgern vertrauen kann und die Bürger können nicht feststellen, ob sie den staatlichen Organen vertrauen können. Daraus ergibt sich ein Problem. Dazu muss man sich anschauen, wofür Vertrauen nötig ist.

  • Beispiel
    Angenommen man möchte jemanden damit beauftragen, den Einkauf zu erledigen. Dann kann man sich eine beliebige Person suchen und diese Schritt für Schritt überwachen, während sie den Einkauf übernimmt. Damit hat man aber nichts gewonnen. Denn die Überwachung ist genauso aufwendig, wie den Einkauf selbst zu erledigen. Ein Gewinn ergibt sich erst, wenn man eine Person auswählt, der man vertraut, und diese den Einkauf selbstständig erledigen lässt.

Hier sieht man die wesentliche Funktion von Vertrauen: Es verringert die soziale Komplexität. Vertrauen bedeutet in diesem Kontext, dass man davon ausgeht, jemand wird eine gestellte Aufgabe erfüllen, ohne überwacht werden zu müssen. Es ist schwierig, Vertrauen so zu beschreiben, dass damit alle Einzelfälle abgedeckt sind. Zur Verdeutlichung genügt aber bereits ein Modell, bei dem man sich auf lediglich zwei Aspekte beschränkt, nämlich Wohlwollen und Tauglichkeit, welches hier genügt. Am gegebenen Beispiel stellt sich also folgendes dar. Man wählt für den Einkauf keine zufällige Person, sondern jemanden, den man kennt. Andernfalls könnte man die Bedingungen für Vertrauen nicht prüfen. Aus diesen bekannten Personen wählt man nun eine aus, die einerseits fähig ist, den Einkauf zu erledigen. Muss der Einkauf beispielsweise per PKW transportiert werden, scheiden alle ohne Fahrerlaubnis aus. Das ist die Tauglichkeit. Zum anderen schränkt man die Auswahl auf diejenigen ein, von denen zu erwarten ist, dass sie mit dem anvertrautem Geld den Einkauf erledigen und nicht sich selbst bereichern. Das ist das Wohlwollen. Wie schon erwähnt handelt es sich dabei um ein einfaches Modell, aber es genügt um das Vertrauensdefizit zu erklären.

In der Beziehung zwischen Staat und Bürgern können nun generell beide Bedingungen für Vertrauen nicht erfüllt werden. Zur Einschätzung des Wohlwollens bedarf es einer persönlichen Beziehung, die nicht vorhanden ist. Die Feststellung der Tauglichkeit scheitert an den verschiedenen Weltanschauungen, die jeweils andere Eigenschaften einer Person als tauglich einschätzen. Ein Staat und seine Bürger sind also gezwungen gemeinsam an verschiedenen Aufgaben zu arbeiten, während es ihnen zugleich unmöglich ist, dass dafür nötige Vertrauen aufzubauen. Diese Spannung ist nicht die einzige Ursache für Ärger und Konflikte innerhalb von Staaten, aber es ist ein grundlegendes Problem, dessen man sich bewusst sein sollte. Es ist natürlich möglich, das Regierungen dieses Vertrauensdefizit durch ihr Handeln verstärken oder verringern, aber es lässt sich nicht auflösen. Wer die Frage beantworten möchte, warum es auch in scheinbar stabilen Gesellschaften schnell zu Massenprotesten kommen kann oder warum Staaten dazu tendieren, Freiheit ab- und Überwachung aufzubauen, der wird kaum an der Einbeziehung dieses Vertrauensdefizits in eine Erklärung vorbeikommen. Nun stellt sich die Frage, wie man mit dieser Neigung zu Konflikten zwischen dem Staat und seinen Bürgern umgeht. Zur besseren Einordnung seien zunächst einige menschliche Ansätze betrachtet. Danach soll es um den biblischen Ansatz gehen, wie er im Römerbrief beschrieben wird.

  • Ansatz der Verringerung des nötigen Vertrauen
    Anstatt davon auszugehen, dass einzelne zuständige Stellen fehlerfrei und allwissend ihre Aufgaben erledigen, teilt man die Aufgaben auf mehrere Verantwortliche auf, die sich gegenseitig überwachen und kontrollieren. Im Kern kann man darin sogar biblische Prinzipien wie Demut und gegenseitigen Dienst erkennen. Im Staatswesen findet man diese Idee als Gewaltenteilung. In der Ökonomie findet man sie als Marktwirtschaft. Dieser Ansatz funktioniert insgesamt ziemlich gut und viele moderne Staaten stabilisieren sich über diesen Mechanismus. Er hat aber auch Grenzen, denn wie anfangs erläutert verringert Vertrauen die soziale Komplexität. Verringert man das Vertrauen, steigt sie also wieder. Letztlich wird man nicht fertig werden, alles zu überwachen und jeden zu hinterfragen. Dieser Ansatz ist möglicherweise der beste, den die Menschheit bisher erfunden hat, aber er dämmt das Problem nur ein.
  • Ansatz der Radikalopposition
    Da man dem Staat nicht vertrauen kann, muss der Staat weg. Mach kaputt, was dich kaputt macht. Das System ist krank. Solche Sprüche mögen mitunter ihre Anhänger finden, aber das Vertrauensdefizit ist einem Staat eigen. Es entsteht aufgrund seiner Größe und Organisation. Selbst die Abschaffung des aktuellen Systems wird es nicht lösen, denn jeder neue Staat wird es wieder haben. Aus christlicher Sicht ergibt sich weiterhin das Problem, dass eine Ablösung des aktuellen Systems selten gewaltfrei möglich ist.
  • Ansatz der Unfehlbarkeit des Staates
    Anstatt sich in die Hoffnung auf die Abschaffung des Staates zu flüchten, kann man sich auch in die Hoffnung auf seine Perfektionierung flüchten. In einem Teil Deutschlands hieß es vor einigen Dekaden noch, die Partei habe immer Recht. Aber wer meint, solche einfache Propaganda sei überholt, der vernachlässigt, wie vieles heute mit dem Kampf für Demokratie gerechtfertigt wird. Die Demokratie hat zweifellos ihre Vorteile, aber sie schafft keinen perfekten Staat. Die Perfektionierung des Staates als Lösung zu betrachten, ist genauso eine Täuschung.
  • Ansatz der Flucht in Phantasiewelten
    Es gibt diese Phantasiewelten in vielen Arten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich mit der Unbestimmtheit der Realität nicht abfinden wollen. In diesen Phantasien ist immer alles klar. Es gibt keine unbekannten Hintergründe. Man kennt alle geheimen Absprachen. Man kennt alle Schuldigen. Die ideale Lösung ist genauso bekannt wie diejenigen, die Schuld daran sind, dass diese Lösung noch nicht umgesetzt wurde. Diese Phantasiewelten sind attraktiv, weil sie das Vertrauensdefizit auflösen. Wenn man alles weiß, braucht man kein Vertrauen mehr. Phantasie war aber noch nie eine Lösung. Man kann sich zwar vorstellen, fliegen zu können, das wird die Schwerkraft aber nicht aufheben. Auch aus christlicher Sicht kann man dies nur verwerfen. Selbst auf die Gemeinde bezogen soll man nicht vor der Zeit urteilen (1. Kor 4,5). Insofern darf man wohl noch mehr von der Welt annehmen, dass es Verborgenes gibt, das erst Jesus als Licht bringen wird. Man muss sich damit abfinden, in einer unbestimmten Welt zu leben.

Man sieht also, dass es menschlich keine Lösung gibt, die dafür sorgt, dass Staaten und ihre Bürger dauerhaft und konfliktfrei zusammenarbeiten. Wie kann man es nun aus christlicher Sicht lösen? Die Antwort ist: Man vertraut nicht dem Staat oder der Regierung, sondern Jesus. Dies wird im Römerbrief gut erklärt (Röm 13,1-8).

Damit löst sich das Vertrauensdefizit, denn Jesus kann man persönlich kennen und vertrauen. Aber ist das nicht zu einfach gedacht? Schließlich handeln viele Regierungen offensichtlich dem Willen Gottes entgegen. Wer akzeptiert, was im Römerbrief steht, kann dies nur verneinen.

Jede Regierung ist von Gott eingesetzt und anders als bei den Menschen geht bei Gott Authorität und Verantwortung immer einher. Es mag Segen freisetzen, wenn Regierungen dem Willen Gottes folgen, aber auch jene, die ihm widerstreben, entgehen nicht ihrer Verantwortung. Man muss seine Hoffnung nicht darauf setzen, dass alle bösen Machenschaften hier und heute aufgedeckt und bestraft werden. Gott selbst wird dafür sorgen.

Da jede Regierung von Gott eingesetzt ist, ist es auch anmaßend, sie abzulehnen. Wer der von Gott verordneten Regierung widerstrebt, widerstrebt Gott. Das zu tun ist eine große Dummheit. Wer nach dem Willen Gottes trachtet, der sollte auch einsehen, dass man unter der Regierung lebt, die Gott eingesetzt hat. Damit gehört es zum Folgen des Willens Gottes, sich dieser Regierung unterzuordnen. Es kann nur scheitern anzunehmen, man könne selbst eine bessere Regierung finden als jene, die Gott selbst verordnet hat.

Interessant mag noch die Frage nach den Steuern sein. Aus ökonomischer Sicht sind Steuern ein Raub und man könnte meinen, dass zumindest dieser Raub abzulehen sei. Aber selbst dies wird verneint. Die Regierungen werden als öffentliche Angestellte Gottes bzw. (je nach Übersetzung) als Gottes Beamte bezeichnet. Damit lässt sich annehmen, dass Gott seine Angestellten auch wieder entlässt. Ein Christ ist nicht der Chef, der über Einstellung und Entlassung entscheidet. So wie man im persönlichen Leben der Führung Gottes vertrauen sollte, weil Gottes Weisheit das eigene Erkennen weit übersteigt, so darf man auch darauf vertrauen, dass er die Leute eingestellt hat, die er einstellen wollte, und das er sie entlässt, wenn es seinem Plan entspricht.

Einflussnahme und Grenzen der Unterordnung

Man könnte nun meinen, Christen lassen sich treiben und sind politisch inaktiv, aber dem ist nicht so. Christen nehmen aber nicht über die üblichen Wege am politischen Alltag teil. In diesem Abschnitt soll es nun darum gehen, wie diese Einflussnahme aussieht und wo die Unterordnung dem Staat gegenüber für Christen aufhört.

  • Prüft alles (Spr 14,15; 1. Thes 5,21)
    Man soll sich nicht treiben lassen von den Umständen, sondern aktiv handeln und prüfen. Man möge aber lesen, wozu die Aufforderung ergeht und wozu nicht. Es geht nicht darum, alles zu prüfen, um hinterher jedem erklären zu können, was alles falsch läuft. Man soll alles prüfen, um das Gute festhalten zu können. Das Ziel ist nicht, alles Böse und Falsche genau zu kennen, sondern das Gute zu identifizieren und festzuhalten. Anders formuliert kann man auch sagen: Man soll sich das Gute nicht rauben lassen, indem man anderen Dingen nachgeht. Daher soll man alles prüfen. Folglich sollen Christen nicht diejenigen sein, die jedem die Fehler der Regierung genau erklären können. Sie sollen diejenigen sein, die genau erklären können, wie man in den aktuellen Umständen Jesus am besten dienen und folgen kann. Sie sollen diejenigen sein, die das Gute gesucht und festgehalten haben.
  • Betet für jeden (1. Tim 2,1-3)
    Es würde hier zu weit führen zu erläutern, was Gebet alles bewirken kann. Das ist nicht das Ziel dieser Analyse. Es soll aber die Frage gestellt werden, wofür man betet. Man kann für seinen Fußballverein beten. Man kann sich auch einzelne Abstimmung in einem Parlament vornehmen und für ein bestimmtes Ergebnis beten. Man kann für Wohlstand und Frieden beten. Ist dies das Gebet, zu dem ein Christ bezüglich seiner Regierung aufgefordert ist? Bezüglich des Fußballvereins sind Zweifel erlaubt, aber die anderen Anliegen mögen ihren Platz im Gebet haben. Es liegt aber auch eine Gefahr darin, politisch beten zu wollen. Wer seine Vorstellung von guter Politik mittels Gebet durchsetzen möchte, indem er für den Erfolg bzw. Misserfolg von Parteien, Volksabstimmungen oder dergleichen betet, der verfehlt das Ziel des Gebets, zu dem Christen aufgerufen sind. Beim Gebet für Regierungen geht es darum, dass die Gemeinde in ihrem Wirken nicht beeinträchtigt wird und das neue Möglichkeiten entstehen, um Menschen zum Glauben an Jesus zu führen.
  • Die Wahrheit lieben
    Bei der Frage nach der Einflussnahme stellt sich auch die Frage nach den verwendeten Mitteln. Mit dem Gebet wurde bereits ein Mittel angesprochen, dass von der Art, wie in dieser Welt Einfluss genommen wird, stark abweicht. Ein weiteres Mittel ist die Wahrheit. Wer als Bürger im Reich Gottes lebt, der sollte nicht die Lüge zum Mittel seiner Einflussnahme machen, denn das ist ein Mittel der Welt. Wahrheit ist letztlich nur bei Jesus zu finden. Die Wahrheit zu lieben bedeutet also, auf Jesus hinzuweisen. Da das Leben als Botschafter bereits erläutert wurde, sei dies hier nur erwähnt. Zur Wahrheit wird vermutlich auch oft gehören, eingestehen zu müssen, etwas nicht zu wissen. In der Welt führt fehlendes Wissen oft zu wilden Spekulationen oder bösen Unterstellungen. Dem sollte man sich als Christ verweigern. Auch die Anerkennung der eigenen Grenzen gehört zur Wahrheit. Man nehme als Beispiel eine Statistik. Es ist schwer und oft sogar unmöglich, eine unverzerrte Statistik zu erstellen. Das kann auch jeder mit einem grundlegendem Verständnis für Mathematik nachvollziehen, ohne ein Experte für Statistik sein zu müssen. Trotzdem wird vielfältig so getan, als ob die eigene Auswertung einer gegebenen Datenmenge die einzig richtige sei. Statistik ist dabei nur ein Beispiel von vielen. Eigene Fehler einzuräumen und anderen zuzugestehen, ebenfalls Fehler machen zu dürfen, gehört insofern auch zur Wahrheit.

Nach diesen Überblick zu den Mitteln der Einflussnahme eines Christen, bleibt noch die Frage offen: Wo endet die Unterordnung eines Christen unter seine Regierung? Die Frage kann man nicht für alle Situationen beantworten, weil verschiedene Menschen voneinander verschiedene Berührungspunkte mit dem Staat haben. Ein Christ als Richter oder Staatsanwalt wird sich andere Fragen dabei stellen als ein Beamter, dessen Fragen von jemand außerhalb des Staatswesens vermutlich wieder verschieden sein werden. Insofern kann hier nur versucht werden, allgemeine Grenzen aufzuzeigen, die jeweils auf die eigene Situation übertragen werden müssen.

  • Im direkten Konflikt muss man Gott gehorchen (Apg 5,29)
    Wenn Gottes Gebot gegen das Gebot der Menschen steht, dann kann man dem menschlichen Gebot nicht folgen. In der genannten Bibelstelle wurde es verboten, im Namen Jesus zu lehren. Petrus stellt dabei aber fest, dass man diesem Gebot nicht folgen konnte, weil man Gott mehr gehorchen muss.
  • Der Staat soll das Gute fördern (Röm 13,3-4)
    Der Staat darf Gewalt anwenden, wie bereits untersucht wurde. Seine Aufgabe ist aber darauf beschränkt, Böses zu bestrafen. Wo der Staat diese Grenze erheblich überschreitet, kann folglich keine Pflicht zur Unterordnung mehr bestehen. In Deutschland mag die Situation noch günstig sein, aber es gibt und gab genug Beispiele, wo Staaten durch Unterdrückung, Folter, Terror und dergleichen geprägt sind. Solchem staatlichen Handeln kann sich ein Christ nicht unterordnen.
  • Jesus allein ist Herr (Röm 14,4.10)
    Jeder Mensch ist für sein Leben vor Gott verantwortlich. Daran ändert sich auch durch die Leugnung oder Ignoranz derer nichts, die Jesus ablehnen. Jesus selbst beansprucht die Position des Herrn im Leben jedes Menschen. Wo der Staat diese Position einnehmen will, wird sich ein Christ nicht unterordnen können. Fordert der Staat also beispielsweise, dass man seine Freunde auf Kadertreue untersucht und Abweichler meldet, dann kann man dem nicht folgen. Die Forderung einer Ideologie, einem Parteiprogramm oder dergleichen unbedingt folgen zu müssen, kann ein Christ nicht unterstützen.